Samstag, 1. September 2012

Die Laubacher Phase 1971-1986 Teil 6, Das EI, Innenbilder


Laubach Blog in Folgen

zur Ausstellung

„Kunst zwischen Kuhmist und Milchstrasse“
Die Laubacher Phase
1971-1976

Vom 9.9. bis 23. 9. 2012



Teil 6

Das Ei
Innenbilder

A.B. "Aufbruch", 110 x 130 cm, Ausschnitt, Eitempera auf Leinwand, 1975


Ein weiteres Schlüsselerlebnis.

„Zeichnen Sie ein Ei“, schlug Prof. Grau mir vor. Ich mochte diese biedere Fleißaufgabe nicht. 
War im zweiten Semester und schon 68-revolutionär infiziert.
Dann aber zeichnete ich. 

Ein weißes Ei auf weißes Papier. Mit winzigen Strichen. Der weichste Bleistift den ich verwendete war 4 H. 

Ich lernte in dieser Woche in der ich dieses große Ei zeichnete so viel über Zeichnen, Hell-Dunkel-Wirkung und Papierstruktur. Lernte so viel über Licht, Verdichtung, Form, und Gestaltkraft, dass ich dem Ei, diesem unübertrefflichen kosmischen Design in dem sich Schutz und Aufbruch, Fragilität und Stabilität, Schönheit und Zerstörung, Perfektion und Chaos so innig verbinden, weiterhin von Neuen begegnete.

Es wurde daraus eines meiner zentralen Projekte in der Laubacher Zeit. 

Ich war in einer schweren Krise und hatte eine starkes Traumbild. Aus einer leeren stacheligen eisernen Ritterrüstung kletterte unbeschwert und munter ein kleines Kind.

Es tapste über das Schlachtfeld der kämpfenden Menschen ohne von ihnen in Gefahr zu sein. Sie machten ihm Platz, hielten kurz inne in ihrem Streit.

Dieses Innenbild war eine Initialzündung für mich. 
Ich macht mich daran diesen Traum als Trilogie zu malen. (Die Bilder werden auch in Laubach gezeigt.)
Daraus wurde ein jahrelanges Projekt und aus der Ritterrüstung ein gepanzertes Ei.

A.B. "Konflikt-Hoffnung-Lösung", Bild 4, 20 x 25 cm, Öl auf Holz, 1975, Laubach



Damals malte ich zu den Naturbildern auch an Innenbildern weiter. 
An Symbolen und Traumbildern, deren Bildsprache dem Surrealismus verwandt war. Doch nur was die Formebene betrifft. 

Im Surrealismus wurde dem Unbewussten die Kraft der Wahrheit zugeschrieben, die es ungeschminkt zu äußern galt, vorbei an den Kontrollmechanismen eines konditionierten und kontrollierenden Verstandes. Das suchte ich nicht. 

Mir ging es darum die unbewussten Traumbereiche zu erkunden um von dort Bewusstsein und Erkenntnis für die existenziellen Fragen zu gewinnen. 
Und darum dass die überbewusste intuitive Intelligenz, und die unterbewussten Instinkte und Kräfte sich im bildnerischen Prozesse begegnen wie das Licht dem Dunkel im Laubacher Schloss, wovon später zu erzählen sein wird.

A.B. "Landschaftsfrau", Aquarell, 30 x 50 cm, 1972, Laubach



Die Natur im Außen und die Natur Innen - als menschliches subjektives Erleben - wurden nach und nach als Grundgesetze von Leben erkennbar und als solche auch erfahren. 

Die Dualität von Licht und Dunkel, von Geist und Materie, von Urbild und Schein zeigten sich in ihrer überzeitlichen Gültigkeit. 

Jede Zeit hat ihr spezielles Kleid darüber gezogen, doch der Körper ist derselbe geblieben, seit je.



A.B. "Lebensschalen", Mischtechnik/ Papier, 25 x 30 cm, 1972, Laubach




Die große Gefühle haben alle Menschen gemeinsam, egal welche Sprache sie sprechen, ebenso die großen Gedanken. So wie auch der Apfel vor dem Häuschen in Laubach in Indien bekannt ist, so sind es auch Freude, Trauer, Angst, Hoffnung.  



A.B. "Vertikal-Horizontal", Öl auf Papier, 20 x 15 cm, 1972, Laubach



Das Naheliegende ist universell. Doch das Universelle erscheint banal wie das Gras (was es nicht ist)  da es gewohnt ist wie der Atem und der Herzschlag, wie die Gesundheit, bis dieses so Selbstverständliche plötzlich nicht mehr selbstverständlich ist. 

Mich interessierte das Universelle im jeweiligen Zeitkleid. Ich lernte auch all die Stile und Mittel um ein solches Kleid zu basten. Nein, das ist kein Schreibfehler, ich meine basten, nicht basteln.

Meine Frage, die ich mit künstlerischen Mitteln und und holzschnittartigen philosophischen Gedanken stellte, war: 

Gibt es eine Möglichkeit den immerwährenden Streit der Gegensätze aus der Feindschaft in die Ergänzung zu übertragen? 

Man muss schon naiv sein sich solchen großen Fragen ernsthaft zu stellen. Ich war naiv -  glücklicherweise.



A.B. Werkbuch 12, "Heilige Kuh im fortgeschrittenen Stadium", Studie, 1975, Laubach



Indien

Mit einem Stipendium der Studienstiftung konnte ich dieser Frage in Indien nachgehen. 
In dieser völlig anderen und älteren Kultur als der europäischen. 

Dort wurde das Gesetzt der Dualität nicht sofort in ein Freund-Feind-Schema gepresst, das den Menschen in gut und böse teilt und ihn so spaltet. 

Der höchste Gott, Vishnu ist auch schon mal als Ratte rumgeschlichen, oder erschien als Bettler. 
Also Vorsicht mit Vorurteilen! Die Ameise könnte ein Gott sein. Und niemand lacht dich aus, wenn du das ernst nimmst.

Das Göttliche ist außerhalb des Fassbaren doch innerhalb der Welt wirksam und so selbstverständlich anwesend wie die Sonne und die Moskitos.

Auch in Indien ist vom Weltenei die bildnerische Rede. Wie auch sollte man von Unfasslichen anders als in Mythen, Märchen, Paradoxen und Symbolen sprechen?


A.B. "Jeder Einfluss ist ein Ausfluss", Öl auf Tuch, 40 x 60 cm, 1974-75, Berlin und Laubach

Die Natur zeigt, dass nicht der Streit, sondern ein dynamisch-harmonisches Zusammenwirken der Gegensätze das Leben bewirkt und erhält. 

Der Streit und der Kampf sind in der Natur ein partiell auftretendes Phänomen, doch nicht die treibende Kraft. 

In unserem menschlichen Zusammenleben sind die Gewichtungen falsch. Hier dominiert der Streit, und die Feindschaft maßt sich dummdreist an, einem evolutionär bedingten Naturgesetz, oder noch fataler: einem göttlichen Willen zu dienen. 

Dann gibt es nur ein Pendeln zwischen den zusammengehörenden Kräften die sich feindlich spalten und das mit Blut betriebene Riesenrad von Sieg und Niederlage drehen. 

Ein echter qualitativer Fortschritt ist so ausgeschlossen. 
Doch ist dieser möglich. Offenbar aber nicht käuflich erwerbbar, weder übertragbar noch delegierbar. 
Es führt  scheinbar nur ein einsamer Weg zur heiligen Stadt.


A.B. "Variation eines unendlichen Themas", 100 x 70 cm, 1975, München/Laubach

Das Ei ist ein Wunder an Synthese. Synthese auf kleinstem Nenner. Hier verbinden sich Urkreis und Urstrahl, weiblich und männlich zu dieser Form. Eine Form, die interessanterweise in der westlichen modernen Formensprache nicht zu den Grundformen, Kreis, Quadrat, Dreieck gezählt wird. Doch wo sich Kreis und Strahl auf bestimmte Weise ergänzend begegnen, entstehen die Spiralen. Insofern ist es keine Grundform, sondern eine Lebensform.

Deshalb bin ich nach Südindien gereist, weil dort eine neue Stadt gegründet wurde, die die Form einer Spirale haben sollte. Nein, heilig ist sie noch nicht, doch sie ist darauf ausgerichtet. Auroville. Gegründet von "der Mutter" mit den Nationen der Welt, auf der Basis des universellsten Menschen der mir je in Schriften begegnet ist: Sri Aurobindo.

"Heilig", das klingt bei uns oft wie Dreck, oder Kitsch. 
Ja, wir hatten schlimmstes, heilloses Heil hier. Unheil erzeugend.

So muss man da ein wenig sparsam und behutsam sein mit solchen Worten. Wenn auch nicht mehr feige. 
Die Schonzeit ist vorbei. 
Man muss das Schöne wieder wagen und beharrlich die lebenspendende Nabelschnur durch den braunen kollektiven vergifteten, verminten, verdorbenen Sumpf legen, bis sie wieder anschließt an die Kräfte und Geister deren Deutschsein keinen Größenwahn enthält, sondern die Größe freien Denkens. An Schiller und Goethe +*.  

In Indien aber konnte ich das Heilige ungebrochenen Herzens fühlen, schreiben, malen und sagen. Sogar jubeln.

Selbst durch den buntesten Kitsch konnte ich das Lachen der Götter vernehmen, oder es mir doch ungestraft einbilden und vergnüglich vorgaukeln. Kein Sittenwächter, kein "Du-darfst-deine-Schuld-nicht-vergessen-Agent" bewachte mich.
Die inneren Tribunale konnten sich in dem fremden Klima nicht halten. 

Doch bevor ich das erlebte machte ich eine Reise durch Europa zu den großen Meistern in den Museen.
Ich wollte die Kraft des Abendlandes aus diesen Werken trinken und mitnehmen. 
Das war auch gut so. Die Früchte davon gingen nach meiner Rückkehr auf. 

Vor meiner großen Fahrt, mitten in die existenziellen Fragen die das Leben in mir weckte, stellte 1973 Großmutter Köngeter eine Pappkiste mit roten Äpfeln auf die Treppe des Häuschens.
Ganz unten stellte sie die Kiste ab. Ich holte die Früchte hoch  auf meinen Arbeitstisch um sie zu malen.
Mit Pastell auf Packpapier.

Nur diese Apfelkiste, ohne surreale oder phantastische Verfremdung. Die Entsprechung zum blühenden Apfelbaum.
Reines Symbol in alltäglicher Gestalt. Immer wieder im in solchen Tagen das All anwesend. Beglückend, wenn die Anstrengung mühelos wird und gelingt was Bestand hat.

Auf die Wand im Aussellungsraum "Im Löwen" schrieb ich letzte Woche einen Satz der in den Werkbüchern steht:

"Ständig im Wandel, das Bleibende treffend."

Das war vor der großen Reise mein letztes Bild.
Es gibt kein gutes Dia davon. Wahrscheinlich sollte ich sie gar nicht reproduzieren.
Doch ist die Apfelkiste in "Käsers Stall" bei Ernst Mantel ausgestellt.



A.B. "Konflikt-Hoffnung-Lösung", Bild 5, 20 x 25 cm, Öl auf Holz, 1975, Laubach, verschollen



A.B. "Evolution", Öl auf Tuch, 400 x 80 cm, 1974, Pondicherry










1 Kommentar:

NC hat gesagt…

Ich bin immer wieder beeindruckt und mir fehlen die Worte.

Danke Alfred für Deine „Spuren in der Zeit, in der das Ziel immer lag

und liegt.“ Liebe Grüße NC