Samstag, 5. Dezember 2009

Fünf Tage Berlin - neues Atelier

Montag, 30.November

Die letzten fünf Tage in Berlin, mein neues Atelier aktivieren.
Noch kein Internet, kein Telefon. Eine einfache, nicht zu kleine Stadthöhle in Kreuzberg.
Wobei ich bisher weder den Berg noch das Kreuz entdecken konnte.
Oder ist damit meines gemeint, das sich nach tagelangem Putzen, und Räumen deutlicher spürt als zuvor?

Die ersten Tage verbrachte ich also damit mein Kreuz zu belasten, auf dem Berg von Arbeit die nicht delegierbar ist.
Staubsaugen, alle Wände, die Decken feucht wischen. Niedere Arbeit? Keine Arbeit für Künstlerhände?
Von wegen! Die Hände denken, sehen, spüren, begreifen, erkunden Fugen und Ritzen, tasten die Mauern entlang, die Böden, haben Augen und Nasen, und schmecken den Staub der Vorbewohner. 

In andern Kulturen ist das Reinigen eine rituelle Handlung, ist atmosphärisches Gestalten...doch warum in andern? Jeder der so etwas tut lebt in dieser „andern“ Kultur. Das behutsame Reinigen, bewirkt ein Öffnen der Atmosphäre, die zuvor wie eine, mir noch fremde "Berliner Schnauze", knurrte. Dann aber, wenn ich mich nicht ängstige und sie begrüße, ihr freundliches Willkommen spricht.



Dienstag 1. Dezember
Um die Ecke entdeckte sich mir ein Laden mit gebrauchten Büromöbeln.
Ich kaufte drei große Aktenschränke, für Bilder und Material, bezahlte sie gleich, weil ich dem cleveren jungen Mann vertraute (zu Recht wie sich zeigte) und am nächsten Tag waren sie schon da und aufgestellt.
Ich hatte nur einen Stuhl dabei, eine Arbeitsplatte, eine schmale Matratze, ein paar Kissen und Decken, Küchensachen und Kartoffeln, bis ich feststellte dass es keinen Herd gibt. Das war mir entgangen. Kein Herd, kein warmes Wasser im Abwasch (dafür im Bad...ein Luxus sei das in einer Kreuzberger Soutterainswohnung hörte ich später...eine eigene Dusche...) So lernte ich wieder sitzen auf dem Boden und erkannte den Wert von fließendem Wasser und diesem so selbstverständlichen Funktionieren des Sanitären.
Mit der „Welt“ war ich nur per sms verbunden. Die elektronische Nabelschnur sendete Sturmfrequenzen. Parallel dazu „genoss“ ich das "autistische Dasein". Mit niemand reden zu müssen, keine Verabredungen zu haben, nicht erreichbar, greifbar zu sein. Niemand weiß dass ich Rumpelstilzchen heiß. Doch so heiß ich ja nicht, denn ich will kein Kind von einer Prinzessin rauben. Und in der Erde versinken brauche ich auch nicht, denn ich lebe im neuen Quartier bereits sieben Stufen unter der Erde, der Gehsteigsebene, doch über den Kanälen der Stadt.. Exakt sieben Stufen. Wenn das kein mystisches Zeichen ist. Sieben Stufen abwärts und sieben Stufen aufwärts. Doch nicht nur mystisch ist das, sondern ausgesprochen bequem zum aus- und einladen. Das fanden auch die Männer die die Schränke brachten. Als ich mich nach einen Kühlschrank erkundigte sagte der Verkäufer: ja wir liefern auch, kostenfrei bis zum zweiten Stock. Fünf Stock sind die Regel, auch in "meinem" Haus.


Mittwoch 2. Dezember

Da ging ich schon raus. Erkundete die Gegend, Fürbringenstraße, Bergmannstraße, nachdem Biomarkt und Einrichtungszentrum in der Nähe bereits vertraute Wege wurden. Wie rasch es geht Spuren zu legen. Bahnen im Gehirn durch Wiedererkennen. Gespürsinn.
Am Abend dann erstmals wieder im Auto. Das Navi strudelte mich in einen Straßenwirbel um den Funkturm hinein. Eine Stunde, statt 10 Minuten brauchte ich zur noblen Adresse in der schon Bilder von mir wohnen und wirken. Möglicherweise noch weitere, die ich im Auto dabeihatte. Erster Abend am gestalten Tisch. Geschmackvoll nicht nur die Tafel, auch Suppe und Bratapfel...alles Bio...Bio metrisch....Bio magisch ...Bio pathisch, und, logisch: Bio logisch.
Rückfahrt, schon empfindlich kalt. Auch der Vollmond schaut sich die Riesenreklamen von frierenden Mädchen an, die Tag und Nacht Reiz-Unterwäsche den Autofahrern präsentieren müssen. Die andere Art Verkehrs-Zeichen, die hier ebenso präsent sind wie Rot und Grün - als Ampeln.


Donnerstag 3. Dezember
Da brach der sms-Sturm ab und die Nabelschnur riss. Schmerzlich. Dabei war ich erstmals weiter im Stadtinneren. Mit den Rad die Friedrichstraße entlang. Ziel: Museumsinsel.
Riesenplätze mit palastgroßen Plakaten vor die Fassaden Gespannt. Drucktechnisch beeindruckend, doch das was hier vergrößert wurde, naja. Die Bildbotschaft lautete:Kaffee gleich Erotik...Erotik gleich Kaffee.
Allgegenwärtig, diese „Diktatur“ des Erotischen. Statt einer politischen? Keine Frage was anregender ist und angenehmer scheint. Aber warum überhaupt diese Überdimensionalität? Dieses Vergrößern, Übersteigern, Gigantisieren? Öffentliche Kunst wird von der Werbung völlig absorbiert, sodass die Cleveren der Branche Werbung längst, in einem intellektuellen Putsch, zur Kunst erklärten. Alte Werte neu zu schaffen ist einfach etwas mühsamer als frischen verführerischen Süßstoff herzustellen, auch wenn eben dies ein knochenhartes Geschäft ist, weil es Angelköder sind die sich selbst als nahrhafte Fische anbieten. Diese coole Lüge wird professionell betrieben und steht in Sold und Dienst einer Wachstumsideologie "auf-Teufel-komm-raus". Sie kostet Seele und warme menschliche Substanz.
Visuelle Machtausübung als Unterhaltung? Sicher nur äußerlich. So aufwendige Präsentation ist teurer, soll sich auszahlen und ist deshalb exakt auf Wirkung berechnet. ...Größe mal Masse gleich Gewinn... Das romantische Ambiente auf dem Riesenposter... ein Liebespaar...alles Kaffee...aber sichtlich kein kalter..
Nein: die Romantik ist exakte Berechung. Da führt ein harter Wettbewerb, im Krieg der schwarzen und roten Zahlen, den Kampf um die Hormone von uns „Endverbrauchern“, und implantiert, mit ästhetischer Intellingez, in unsere Liebessehnsucht das Produkt, in diesem Falle Kaffee, hinein...Es könnten auch Autos sein, Versicherungen, was auch immer durch das Begehren attraktiv gemacht wird.
So macht das alle Werbung seit je...
Auf kollektiv Wirksames wird das zu Verkaufende, das Produkt aufgepfropft, damit am Stammbaum die gezüchteten Früchte gedeihen., die dann käuflich erwerbbar sind.

Wachstumsbeschleunigung des Marktes?....
Eben zu dieser Zeit wird unweit ein solches Gesetz im Bundestag diskutiert. Krebs wächst auch beschleunigt...doch hier gilt es das Wachstum zu hemmen. Warum sind "wir klugen" Menschen zugleich so abgrundtief dumm?

Die Straße am Kähte-Kollwitz-Museum ist gesperrt. Polizei. Massenhaft. Grenzschutz in Kampfanzügen. Skeptische Blicke aus Soldatenaugen. Scannerblicke, den Tat-Verdacht aktivierend... - jede Projektion ist zugleich eine Suggestion, die stimuliert was sie vermutet! ...
Der harmlose Stadtradler wird zum potenziellen Terroristen. Seine Anonymität? Nichts weiter als Tarnung! Das Händie in seiner Tasche die Kommandozentrale für den geplanten Gewalt-Einsatz.
„Staatsbesuch“, antwortete der Polizist auf meine Frage - nicht unfreundlich - nachdem ich alle meine mir möglichen Harmlos-Signale vertrauensselig auf ihn abgefeuert habe.

Dann kam ein schöner Schwarm weißer Polizisten in keilförmiger Wildgänseformation auf schnurrenden löwenkräftigen Motorrädern daher gefahren. Sie schwebten surrend in gemessener Eile über den Asphalt. Dann die wichtigen Karossen mit Präsident, Gattin, Gefolge und Gefolginnen und vielen PS, Viele Viele... danach die Grünen Polizisten. Unsere markigen Marken der Sicherheit. Der Schwarm hält im Getto gesicherten Raumes. Getragenen Schrittes dann die Staatsgäste zum geplanten Betroffenheitstermin. Was knurrt den da? Nein es ist ein Trommelwirbel für den Präsidenten. Inszenierte Macht ... hübsch so aus der Distanz. Doch welche Freiheit dann einfach mit dem alten Rad weiter fahren zu können, völlig ohne Protokoll und ohne Blitzlichter, im nachmittäglichen Sonnenlicht. Nein ich möchte nicht tauschen. Keine Lust auf Ruhm und die komfortablen Bunker austauschbarer Größe. Dennoch Verantwortungsbewusst für das Allgemeine. Doch anders. Ganz ganz anders.

Unterwegs zu einer der schönsten Frauen in Berlin. Der Weltschönheit Nofretete.
Hier erlebte ich im ägyptischen Museum, trotz der Schmerzen wegen der sms-Abnabelung, ein tiefes Atmen des Gehirns beim Anblick der jahrtausende alten Werke. Diese Bildhauer schufen nicht für den Markt, auch wenn es das wohl auch gab, aber nicht als erste Adresse. Sie schufen für die Ewigkeit. Da niemand diese kannte, konnte nur das Beste gut genug sein. Und das Beste ist weder kitschig noch eitel noch martialisch. Es ist einfach und schön. Noch immer. Trotz der Bauch- und Nabelschmerzen feuerte eine Freude im Gehirn beim Anblick, und in der Versenkung, in diese wundervoll vertrauensvoll kindlich-genialen Werke.
Ja, das ist (m)ein Grund in Berlin zu sein. Diesen Manifestationen von Menschenhand, vor Jahrtausenden geschaffen, in die Augen sehen zu können, sie zu zeichnen, sie zu atmen. Zu spüren, dass alles Schaffen, das nicht nur Markt- und Menschen-Ruhm meint, diese eine Quelle kennt und aus ihr schöpft. Wäre es nicht zu sentimental, würde ich mir erlauben im Anblick dieser Werke von „heimkommen“ zu sprechen.

Nachher im Pergamonmuseum, bei den Phöniziern und den Griechen, war dieses Erleben nicht mehr so stark. (auch wegen der sms-Infusion sicherlich) Das Ewige, als wichtigste Adresse bei den Ägyptern, weicht später bei den Griechen, großartig gebildet, dem menschlich näheren Drama der Götter und der einschüchternden Pracht-Macht-Entfaltung Roms. Solches gab es sicherlich in Ägypten auch, doch der Focus war dort das Ewige. Deshalb wohl wirken diese Werke zeitfrei und in einer Frische die nicht atemberaubend, sondern atemschenkend ist. Jedenfalls für mich. Das liegt sicher auch an der subtilen und geschmackvoll-großzügigen Präsentation des Neuen Museums.

Dann schließlich Nofretete. Königlicher geht es nicht. Das heißt: Dieses Antlitz vermittelt eine wissende durchdrungene Schönheit und Macht, in der sich Erotik und Distanz, Wärme und Klarheit, Würde und Berührung zu einer Mitte verdichten aus der ein Friede blickt und die Gewähr, dass dieser ewig ist. Ich zeichnete sie. So viele Menschen im Museum. Auch hier genoss ich es „Autist“ sein zu dürfen, ohne Hädfon änd Gaid.
Doch nun ist genug darüber geschrieben, wer wird schon so lange Texte im Ungeduldsmedium Internet lesen wollen?
Ich nicht. Aber ich schreibe es ja für Dich und für die ägyptischen Ewigkeiten, von denen es drei gibt.


Freitag, 4. Dezember
Nach drei Tagen putzen und räumen, einrichten und organisieren, ersten Besuch.
Die schönen Töchter meines unlängst verstorbenen Freundes und Lehrers Lothar R. und Barbara - die ich fast so lange kenne wie sie alt sind - besuchten mich und wir feierten den Geburtstag von Icki mit Frühstück und Erzählen im Cafe in der Bergmannstraße.
Icki und Anja. Gegenpolige Schwestern. Sie verkörpern Jugendstil und Bauhaus. Traumwirklichkeit und fantasievolle Architektur. Wie lebendig Lothar und Barbara dabei waren.


Auf der langen Auto-Rückfahrt den Umweg über Schwäbisch Hall genommen. Die Ausstellung meines anderen verehrten Lehrers, Gottfried von Stockhausen, zur Eröffnung im Hallisch-Fränkischen Museum besucht. Leuchtende Glasarbeiten. Fruchtperlen tiefen Empfindens. Ins Liebende transformierte christliche Geschichte. Dabei von einer pracht- und machtvollen Schlichtheit. Eine Freude, ihn, Gottfried, zu sehen. Leider im Rollstuhl. Doch nicht seine Seele und nicht sein Geist. Die sind frisch, sozusagen ägyptisch.

Nun dämmert ein neuer Tag im Frauenhof. Er wird licht werden.






1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Da bleibt einem ja wirklich der Atem stocken, ich habe gelesen von der ersten bis zur letzten Zeile und bin wirklich sehr froh über Deine Sicht der Dinge, der Menschen. Es gibt unglaublich Mut und Hoffnung. Danke für diesen Text lieber Alfred Gruß ULI